Kinder in Watte packen, alle schlechten Erfahrungen und Niederlagen von ihnen fernhalten und den Wettbewerb möglichst auf ein Minimum begrenzen oder bewusst und doch gemäßigt die edukative Wirkung positiver und negativer Erlebnisse für Kinder und Jugendliche nutzen? Diese und viele weitere Fragen hoffte die Bayerische Sportjugend (BSJ) – Bezirk Niederbayern mit einer hochkarätig besetzten Veranstaltung am vergangenen Freitag, dem Weltkindertag, im Dingolfinger Bruckstadel zu klären.
„Ich habe meine Gefühle immer fünf Meter hinter mir her geschleift, sie wahrgenommen, aber immer von mir weggeschoben“, erzählte Skisprung-Legende und Olympiasieger Sven Hannawald von seiner ganz eigenen Geschichte. Denn auch der Vierschanzentourneesieger durchlebte nach seinen zahllosen Folgen die psychischen Schattenseiten des Leistungssports, geht mit der Diagnose „Burnout“ und seinem Weg zurück ins Leben jedoch offen um und gab dem Dingolfinger Publikum daher im Rahmen seiner Aktion „Seelenstark“ zusammen mit der AOK Bayern einen wertvollen Einblick in sein damaliges, aber auch heutigen Seelenleben.
Die rund 90 Gäste im Bruckstadel, die sich vorwiegend aus der Fachverbandsarbeit, Sportvereinen, weiteren Ehrenämtlern und einigen Ehrengästen aus der Politik zusammensetzte, konnten allerdings nicht nur auf Hannawalds Expertise zurückgreifen. Vielmehr leitete Moderator Sepp Huber einen spannenden Talk, an welchem auch Oliver Hein, Ex-Fußball-Profi und designierter Vorstandsvorsitzender des SSV Jahn Regensburg, und Dr. Anett Kretschmer-Trendowicz, Therapeutische Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Bezirkskrankenhaus Landshut, teilnahmen.
„Nicht geschimpft ist gelobt genug“, ist dabei ein flapsiger Leitspruch der bayerischen Leistungskultur, von der die Expertin des BKH Landshut jedoch wenig hält. „Wir sollten den Kindern und Jugendlichen Anerkennung schenken, egal wie unterschiedlich deren Leistungsfähigkeit auch ist. Das heißt nicht, dass es die Lösung ist, den Wettbewerb abzuschaffen, schließlich gehören Rückschläge auch außerhalb des Sports zur täglichen Realität“, fiel die fachliche Meinung von Dr. Kretschmer-Trendowicz sichtlich erleichternd für Publikum und ihre Diskussionspartner aus.
Denn für Oliver Hein ist die Vergleichbarkeit und damit der Wettbewerb im Sport unverzichtbar. „Hätte es bei mir solche Bestrebungen gegeben, hätte ich damals mit dem Fußball aufgehört und mir etwas anderes gesucht“, erinnert sich der ehemalige Profi des SSV Jahn Regensburg, bei welchem er seit seinem Karriereende offizielle Positionen neben dem Feld einnimmt, an seinen jugendlichen Ehrgeiz. Dabei arbeitet der Jahn in seinem Nachwuchsleistungszentrum jedoch mit einem Konzept, das die mentale Gesundheit als wichtigen Baustein der Leistungsfähigkeit in die Förderung der Kinder und Jugendlichen miteinbezieht. „Wir wollen mehr vermitteln als nur Fußball.“
Jene Erkenntnisse zur besseren Wahrnehmung mentaler und psychischer Belange für Kinder und Jugendliche im Sport finden aber noch zu zögerlichen Einzug in den Breiten- und Leistungssport gleichermaßen. Es gelte die Umstände jedes einzelnen Akteurs zu betrachten
und etwaige Auffälligkeiten nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Gleichermaßen haben darauf allerdings auch Verantwortliche im Bildungssystem, in den heimischen vier Wänden und auf den Sportplätzen und in den Hallen zu achten. Denn nur im Schulterschluss zwischen Elternhaus, Schule und Ehrenamt im Sport können Kinder und Jugendliche ausreichend geschützt und zugleich gefördert werden.
Präventiv muss dabei jeder für sich auch mal pausieren, durchatmen und sich bei erhöhter psychischer Belastung zurücknehmen. „In der digitalen Zeit ist es dabei schwieriger, sich abzugrenzen, Stop zu sagen und eben nicht erreichbar zu sein“, zog Sven Hannawald dabei einen für alle wertvollen Vergleich. Um die Anwesenden des Talks zum Weltkindertags in dieser Hinsicht zu schulen und sie nicht nur mit Theorie nach Hause zu entlassen, hatte AOK-Gesundheitsexpertin Verena Meindl den Abend mit einer Achtsamkeitsübung eingeläutet, welche fortan für eine offene und diskussionsfreudige Stimmung gesorgt hatte.
Dem offiziellen Teil vorausgegangen waren ferner Grußworte von BSJ-Bezirksvorsitzendem Michael Limmer, AOK-Direktor Georg Kagermeier und Dingolfings Bürgermeister Armin Grassinger. Beigewohnt hatten der gemeinsamen Veranstaltung von BSJ und AOK auch Vertreter der Bundes‑, Landes- und Bezirkspolitik: Nicole Bauer, MdB (FDP), Dr. Petra Loibl, MdL (CSU), Tobias Beck, MdL (Freie Wähler) und Renate Wasmeier, Bezirksrätin (CSU) standen nach der Diskussionsrunde ebenso wie Sven Hannawald, Oliver Hein und Dr. Anett Kretschmer-Trendowicz für Gespräche im kleineren Rahmen bereit.